Gedanken über botanischen Sex
Über die Sexualität bei Pflanzen
Die Sexualität, Geschlechtlichkeit, umfasst per definitione die Gesamtheit aller mit der Existenz zweier unterschiedlicher Geschlechter verbundenen morphologischen und physiologischen sowie psychologischen Erscheinungen, Funktionen und Beziehungen, gemeinhin mit dem Ziel der sexuellen Fortpflanzung. So lautet gemeinhin die offizielle Beschreibung. Biologisch gesehen dient die Sexualität daher zur Erzeugung von Nachkommen, ergo der Arterhaltung. Der Vorteil bei der geschlechtlichen Fortpflanzung gegenüber der ungeschlechtlichen besteht darin, dass „väterliches“ und „mütterliches“ Erbgut zusammenkommen, eine Neukombination von Genen gewährleistet ist und somit die Variabilität der Individuen einer Art gesteigert wird, damit erhöht sich die Überlebenschance.
Bei Pflanzen entstehen die Gameten, die Geschlechtszellen, infolge von Mitosen (Mitogameten bei Haplonten und Haplodiplonten) und nur selten aus einer vorhergehenden Meiose (Meiogameten bei Diplonten). Insbesondere bei vielen Algen wurden geschlechtsspezifische Wirkstoffe (Gamone) nachgewiesen, die sowohl die sexuelle Differenzierung als auch die chemische Anlockung und die Kopulation der Gameten fördern. Bei Mitose und Meiose handelt es sich um zwei Formen der Kernteilung bei eukaryotischen Zellen. Ziel der Mitose ist dabei die Vermehrung von Zellen (Zellteilung), deshalb müssen auch die bei der Mitose entstandenen Tochterzellen genetisch identisch mit der Mutterzelle sein. Bei der Meiose hingegen werden sogenannte Keimzellen oder Geschlechtszellen erzeugt (Reifeteilung). Diese Zellen spielen eine wichtige Rolle bei der Befruchtung während der sexuellen Fortpflanzung.
Die Sexualität in der Botanik klingt eher ungewöhnlich und fad, fast technisch, ist aber dennoch äußerst interessant, da bei den meisten Pflanzen verschiedene Formen der ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Fortpflanzung nebeneinander vorkommen. Wir finden verschiedene Formen von Generationswechseln vor. Bei den Samenpflanzen (Spermatophyta) steht die Blüte im Dienst der sexuellen Fortpflanzung, wobei es hier Nacktsamer (Gymnosperme) und Bedecktsamer (Angiosperme) gibt. Bei Samenpflanzen sticht die Blüte quasi als Geschlechtsorgan heraus.
Aber: die meisten Samenpflanzen sind Zwitter, d.h. in der Blüte finden sich Staubblätter (sie enthalten die männlichen Gametophyten, die Pollen) und Fruchtblätter (bestehend aus Fruchtknoten, Griffel und Narbe), die den weiblichen Gametophyten (Embryosack mit Eizelle) enthalten. Befinden sich männliche und weibliche Geschlechtsorgane in getrennten Blüten, kann zwischen Monözie (beide Geschlechter auf einer Pflanze) und Diözie (es gibt männliche und weibliche Individuen) unterschieden werden.
Zur Befruchtung kommt es bei den Samenpflanzen nach Übertragung des Pollens auf die Narbe (Bestäubung). Dabei existieren verschiedene Mechanismen, die verhindern, dass monözische oder zwittrige Individuen sich selbst befruchten (Selbstinkompatibilität); es gibt aber auch Fälle von Selbstbefruchtung (Autogamie) als gelegentliche oder obligate Form der sexuellen Fortpflanzung bei Pflanzen (bei vielen einjährigen Kräutern, z.B. Ackerstiefmütterchen, Hirtentäschelkraut, Löwenzahn).
Es wurde festgestellt, dass zumindest in der Anlage alle höheren pflanzlichen Organismen eine bisexuelle Ausrichtung entwickeln. Bei den monözischen und den zwittrigen Pflanzen wird die Bildung von weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorganen sowie diejenige der Gameten im Verlauf der Entwicklung durch innere Regulatoren bestimmt und ist oft auch von Umweltbedingungen abhängig; so bilden z.B. weibliche Lichtnelken (Silene dioica oder Lychnis chalcedonica u.a.) bei Befall durch Brandpilze Staubblätter (modifikatorische oder phänotypische Geschlechtsbestimmung, exogenen Faktoren).
Diözische Pflanzen zeigen eine genotypische Geschlechtsbestimmung; es wird jedoch vermutet, dass bei vielen diözischen Pflanzen auf den Geschlechtschromosomen lediglich so genannte Realisatorgene liegen, die die bisexuelle Auswirkung (Potenz) der Autosomen so beeinflussen, dass jeweils nur die Anlage des einen Geschlechts zur Ausbildung kommt.
In der Pflanzenwelt finden wir sowohl die vegetative als auch die geschlechtliche, die sexuelle Fortpflanzung vor, wobei die sexuelle Fortpflanzung den Vorteil mit sich bringt, dass sie viele Möglichkeiten zur Rekombination offenbart. Rekombinationen werden damit zu wesentlichen Faktoren der Ökologie, Anpassungsstrategien an die „bewegliche, veränderliche“ Umwelt werden adaptiert. Die vegetative Fortpflanzung kann durchaus sehr effektiv sein, ist aber recht statisch – in Zeiten wie diesen auch für Pflanzen nicht unbedingt hilfreich.
Wesentliche Fundamente in der sexuellen Fortpflanzung stellen Meiosis und Syngamie dar. Mit Meiosis bezeichnet man die Halbierung des diploiden Chromosomensatzes zu einem haploiden Chromosomensatz (Reifeteilung), aus einer diploiden Mutterzelle werden also zwei haploide Tochterzelle, die im Gegensatz zur Mitose durchaus genetisch verschieden sein können. Syngamie umschreibt die Verschmelzung der Gameten. Die Meiosis verläuft dabei in zwei Phasen, die hier jedoch nicht erklärt werden.
Soviel zur Theorie, aber gibt es denn auch „guten Sex“ bei Pflanzen? Gut genug für eine erfolgreiche Fortpflanzung?
Sind Pflanzen auch geil?
Für mich schon, aber anders als ihr denkt. Grundsätzlich kann man konstatieren, dass der Sex bei Pflanzen gar nicht so einfach ist, wie man/ frau gemeinhin denkt. Es reicht leider nicht, wenn ein Pollenkorn (männlicher Blütenteil) auf eine passende Narbe (weiblicher Blütenteil) trifft, im Gegenteil, es wird auch ein Pollenschlauch benötigt, der durch die Narbe bis zu den Eizellen reicht, die „Rutsche“ für die Gameten, die dort deponiert werden. Beim Mais kann der Pollenschlauch durchaus mal über 20 cm betragen.
Sobald also ein Pollenkorn auf der Narbe deponiert wurde (von Bienen zum Beispiel), bildet dieses Korn langsam einen Pollenschlauch. Zellteilung findet nicht statt, vielmehr vergrößert sich das Zellvolumen des Pollenkorns durch Wasseraufnahme extrem (Osmose). Hier kommt wieder das Calcium zum Tragen, denn die Dosierung der Calcium-Ionen gibt dem Pollenschlauch die Richtung seiner Entwicklung vor. Eine erhöhte Konzentration von Calcium-Ionen zum Beispiel auf der rechten Seiten der Schlauchspitze würde dazu führen, dass der Pollenschlauch eben weiter nach rechts wachsen würde.
Hier sieht man/ frau, wie wichtig der Nährstoff Calcium für die Pflanzen und ihrem „Sexleben“ ist. Dazu benötigen die Pflanzen sog. Rezeptoren, an der Spitze des Pollenschlauches, die die Calcium-Ionen zum Strömen bringen. Lange wurde gerätselt, wie das konkret abläuft, bis herausgefunden wurde, dass es sich hier um einen Rezeptor aus der Glutamat-Familie handeln muss. Sobald ein solcher Rezeptor aktiviert wird, können die Calcium-Ionen fließen. Wie viele Glutamat-Rezeptoren an der Spitze des Pollenschlauchs sitzen, ist noch nicht bekannt, allerdings kennt man/ frau diese Glutamat-Rezeptoren aus höheren Organismen, wo Glutamat einer der wichtigsten Botenstoffe im Nervensystem ist.
Glutamat-Rezeptoren bei Pflanzen waren bisher durchaus bekannt, allerdings war weniger bekannt, welche physiologische Funktion sie in einer Pflanze haben – jetzt ist es bekannt: für einen guten Sex. Dabei wird in Pflanzen der Glutamat-Rezeptor nicht durch das Andocken von Glutamat aktiviert, sondern eher durch die Aminosäure D-Serin, die im Narbengewebe gebildet wird. Dieses D-Serin als Navigator auf dem Weg zu den Eizellen. Über “guten” Sex bei Pflanzen sprechen wir dann, wenn dieser sexueller Akt auch zur Befruchtung führt, ohne jegliche Störungen in den zellulären Prozessen. Manche könnten sich durchaus angesprochen fühlen, oder?
Und bevor gejammert wird, dass diese Beschreibung des Sexes bei Pflanzen recht emotionslos und leidenschaftsleer klingt, ist zu sagen, dass es bei Pflanzen auch so ist. Sie sind recht frei von emotionalen Schwingungen, recht effizient in ihrem Wirken, völlig uneitel und alles folgt einem „Plan“ – Leidenschaften und Gefühle passen da nicht rein. Sie sind eben Teamplayer, die sehr auf die Erhaltung ihrer Art bedacht sind, brauchen keine Reagenzgläser oder Viagra oder sonstigen Unfug. Im Gegenteil, sie entscheiden selbst über ihre Geschlechtsreife (natürlich mithilfe von Umwelteinflüssen wie Wärme, Licht usw.), sie bestimmen selbst, wann sie sich fortpflanzen wollen – und wann eben nicht.
Selbstverständlich haben wir es auch hier mit biochemischen und zuweilen auch physikalischen Prozessen zu tun, die weitaus komplizierter und raffinierter ablaufen, wir hier skizziert, dennoch stelle ich selbst immer wieder fasziniert fest, wie „clever und durchdacht“ Pflanzen agieren und reagieren, wie sie Umweltfaktoren adaptieren und ihre „Seelenwelt“ einbauen, welch erstaunliche Antworten sie immer wieder auf Reize und Einflüssen aus ihrer Umgebung haben – chapeau, ich danke ihnen, da sie auf eindrucksvolle Weise mir tagtäglich zeigen, wie „Leben“ funktioniert.
Anregungen wie immer hier oder gartenarchitekt44@gmail.com