Unser Wald – ein (Wirtschafts-) System mit „Herz, Seele und Verstand“
Schlimm genug, dass wirklich sehr, sehr viele Menschen auf diesem Planeten, auf unserem Planeten, denken, die freie Marktwirtschaft (das Wort „sozial“ passt noch immer nicht in diesem Kontext), diese radikal-materialistische Metamorphose eines nekrophilen, lebensverweigernden Lebens- und Handlungskonzepts sei „alternativlos“. Genauso drückt es mir die Magensäure wieder die Speiseröhre empor, wenn diese waghalsige Hypothese ihre Erklärung in der Festellung findet, dieses Konzept hätte den „Kommunismus“ besiegt, wie bei einem sportlichen Wettkampf in der Arena, während zahlreiche „Zuschauer“ indessen an Hunger leiden. Aber wirklich traurig macht mich die Beobachtung, dass diesen Unfug tatsächlich auch viele Menschen glauben, weltweit.
Aber: „Die Hoffnung hilft uns leben,“ ´sagte schon Goethe und darum geht es letztendlich. Denn immer mehr Menschen, glauben diesen Unsinn glücklicherweise nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Sie sind aufgestanden, den Blick in die Zukunft gerichtet, sie stellen sich der Biophilie, sagen ja zum Leben und verweigern sich dem radikal-materialstischen Lebenskonzept, kurz „Kapitalismus“ genannt, denn es geht wirklich anders – und unser Wald macht es uns vor. Tag für Tag, wir sollten von ihm lernen und ihn nicht zerstören. Und immer mehr Menschen wenden sich der Natur zu, den Wäldern, denn sie wollen sie bewahren und nicht vernichten – das macht Mut! Ist eine botanische Zeitenwende in Sicht?
Waldwirtschaft = Lebenswirtschaft
Während in Systemen mit radikalmaterialistischen Determinanten Attribute wie Gier, Habsucht und Egoismus dominieren oder wie die „Ökonomen“ sagen, Mehrwert und Rendite, verfolgt das Ökosystem Wald einen ganz anderen, besseren, lebensfreundlicheren Ansatz: Fülle lautet hier das Motto, und zwar für alle „Mitbewohner“ des Ökosystems Waldes. Ein zauberhaftes Unterfangen, eine „Wirtschaftsidee“, die schon seit vielen Milliarden Jahren hervorragend funktioniert und wohl noch weitere Milliarden Jahren funktionieren wird, sofern der Mensch nicht vorher schon sämtliche lebensbejahende Vegetationsflächen zerstört hat.
Wälder sind in sich geschlossene perfekt auf jedes Rädchen und auf jeden Akteur abgestimmte Ökosysteme, die in sich rein und intakt sind, ein durchdachtes Recyclingsystem ohne einen Krümel Müll, alles hat eine Funktion und einen Sinn. Wälder bedecken schätzungsweise 30% der Landmasse auf der Erde. Wälder regulieren den globalen Wasserkreislauf, sie sind der wichtigste Sauerstoffproduzent, wirken als biologischer Filter von Wasser und Luft, sie binden Schadstoffe, Lärm- und Schallemissionen, Wälder gelten für mich als prädestinierte „Kühl-Anlagen“ und schützen oder bewahren ein Klima, welches sie selbst definitiv nicht beschädigt haben. Generell kompensieren sie völlig uneitel und uneigennützig ökologische Schäden, für die sie ebenfalls nicht verantwortlich sind. Einfach so, ohne Gegenleistung. Und genau diese Lebensform scheint sehr wirksam zu sein – und „nachhaltig“, ebenfalls ein Wort, welches die Pflanzen nicht brauchen, um sich zu legitimieren. Im Gegenteil, sie sind es einfach.
Nicht in Vergessenheit geraten sollte die Schutz- und Erholungsfunktion von Wäldern, deren Wert unermesslich und nicht kalkulierbar ist. Wälder bieten Lebensraum für viele andere Lebewesen und schützen auch uns. Die fortschreitende Vernichtung von lebensnotwendigen Vegetationsflächen- besonders Waldgesellschaften – die Unmengen an Emissionen binden, die in erster Linie wir Menschen mittelbar oder unmittelbar produzieren (eine Buche bindet ca. 12, 5 kg CO2 pro Jahr, der Mensch dagegen produziert ca. 7,9 t CO2 pro Jahr, in Länder wie Katar sogar um die 30 t CO2 pro Jahr), zieht auch eine erhebliche Beeinträchtigung unserer Lebensgrundlage nach sich. Solange dieser Wahn kein Ende nimmt, eliminieren wir uns schlichtweg selbst. Denn: „Der Baum gibt sogar noch dem (Menschen) Schatten, der gekommen ist, ihn abzuschlagen,“ so eine alte indische Volksweisheit.
Eitelkeit, Neid und Feindseligkeit sind Attribute, die den Gesellschaftssystemen, in denen wir uns bewegen, immanent sind, aber in Pflanzgesellschaften wie Savannen, Steppen oder eben auch in Wäldern nicht vorkommen. Gemeinsinn ist hier gefragt, Ko-Existenzen prägen das Waldgefüge, ein lebendiges Miteinander füllt die Waldgemeinschaft. In Waldgemeinschaften wird miteinander und nicht gegeneinander gelebt, nicht umsonst sind Mischwälder auch gesünder als Wälder mit faden Monokulturen, deren Sinn sich mir einfach nicht erschließen mag. Alle Mitglieder in der Waldgemeinschaft, von den Bäumen über Sträucher bis hin zu den Moosen und Farnen, die einzelnen Mikroorganismen ebenso wie die Pilze, haben „zugewiesene“ Aufgaben, die sie mit Bravour und vor allem gerne erfüllen, denn allesamt werden belohnt, allesamt profitieren davon. Ein System, in dem es nur Gewinner gibt, unglaublich, aber so ist es in der Tat. Es herrscht ein reges Treiben im Wald, ein ständiges Kommen und Gehen, ohne Lärm, ohne Gewalt und ohne Müll. Hier wird offen, ehrlich und fair miteinander umgegangen. Beneidenswert.
Mittlerweile wurde auch nachgewiesen, dass Pflanzen, Bäume im Besonderen, auch über soziale Kompetenzen verfügen. Bäume versorgen sich nicht nur untereinander, sondern auch ihre Nachbarn. Sie achten einander. Und sie kommunizieren auch miteinander. Dabei kommunizieren die Pflanzen über das soziale Netzwerk der Pilze. Über das Netzwerk der Pilze werden Nährstoffe transportiert und Informationen ausgetauscht. Im Austausch dazu erhalten die Pilze wiederum die benötigten Kohlehydrate, ein regelrechter Basar unter der Erde. Die Verknüpfung untereinander unter der Erdoberfläche nimmt unglaubliche Dimensionen ein, die wenigsten von uns wissen, was sich unter der Erdoberfläche so abspielt.
Wie gesagt, alle Akteure im Ökosystem „gewinnen“. Ein erstaunliches Ökosystem. Im Grunde ein perfekt gelungener geschlossener Kreislauf, denn „sterbende“ Pflanzen beispielsweise generieren wiederum Humus, landen also auf einem Waldboden, dem sie selbst entstammen. Ihre Übersiedlung ins Jenseits liefert den Nährboden für nachfolgende Generationen und anderen Bewohnern, denen es später wieder ähnlich ergehen wird. Von Demut begleitet folgen sie dem evolutionär vorgegebenen Kreislauf ohne Kriege anzuzetteln. Und im Gegensatz zum „homo ignorantus“ haben sie auch einen fest regulierten „Generationenvertrag“. Besonderes Augenmerk legen Pflanzen auf ihre Nachkommen, sie tun alles, um ihre Art zu erhalten, der unbändige Wille, leben zu wollen, ist grandios. Sie brauchen auch keinen Ernährungsberater oder kasteien sich mit sinnentleerten Diäten, nein, sie wissen genau, welche Nährstoffe ihnen guttun. Wir sollten genau hinschauen, einige tun dies schon, es dürfen aber gerne mehr sein. „Blüht eine Blume, zeigt sie uns die Schönheit. Blüht sie nicht, lehrt sie uns die Hoffnung.“ (Chao-Hsiu Chen)
„Grün“ ist die Farbe der Zukunft
Sofern sich der „homo ignorantus“ mit seinen umweltfeindlichen Aktivitäten zurückhält kann eine Stieleiche (Quercus robur) bis zu 1400 Jahre alt werden, die Traubeneiche (Quercus petrea) um die 1200 Jahre und die Winterlinde (Tilia cordata) bis zu 1000 Jahre oder gar älter. Der gewöhnliche Feldahorn (Acer campestre) mit seinen erfrischend großen Blättern erreicht mitunter ein Alter von über 200 Jahren, dabei schraubt er sich bis auf 45 m in die Höhe. In der Vegetationsperiode prall gefüllt mit Chlorophyll rattert das Fotosynthese-Pumpwerk, dessen Nutznießer wir sind. Zum Vergleich: Riesenmammutbäume (Sequoiadendron giganteum), die ein Alter von ca. 1800 Jahre überschreiten können (es gibt auch Exemplare, die bis zu 4000 Jahre lang ausharren können), erfüllen wie alle anderen bis zu letzten Atem-Sekunde „pflichtbewusst“ ihren Dienst. Eine Winterlinde also, die über 1000 Jahre alt werden kann, versorgt demnach über 1000 Jahre Lebewesen wie uns mit Sauerstoff, spendet Schatten, versorgt andere „Mitbewohner“, filtert die Luft, reguliert den Wasserhaushalt usw. usf..
Dagegen fällt ein anorganisch hergestellter Sonnenschirm, der schon bei der Produktion mehr zerstört als dass er nützen könnte, nach knapp 300 Jahren in sich zusammen. Allein der Abbau der notwendigen Rohstoffe dazu hinterlässt nur ein sprachloses Kopfschütteln. Unabhängig vom Aspekt, dass der Schattenwurf eines Sonnenschirms nur einen Bruchteil eines Baumes ausmacht, kühlt der Sonnenschirm nicht und kann auch keine Fotosynthese – warum also so ein Wirbel um destruktive Statussymbole oder „Gegenstände“? Warum also die betriebswirtschaftlichen Luftblasen über mögliche oder pseudo-notwendige Investitionen in einen Sonnenschirm? Wären diese betriebswirtschaftlichen Gedankenspiele ernstgemeint und seriös, würden schon lange nicht mehr Sonnenschirme in den Städten stehen, sondern nur noch Bäume, um nur ein kleines Beispiel von so wahnsinnig vielen skurrilen menschlichen Errungenschaften zu nennen, die liebevoll „Erfindung“ genannt werden. So lange können beispielsweise diese zwei Exponate Sauerstoff produzieren, Schatten spenden, Erosionen vermeiden usw. usf. – und der „homo ignorantus“? Der „homo ignorantus“ kann Roboter auf den Mars werfen und nutzlose Gebäude aus umweltschädlichen Materialien bauen, aber er weiss nicht, warum eine Tomate rot wird? Die Tomate kann man essen, den Roboter nicht. Leben geht anders, oder?
Oder wir treffen auf eine Erle, eine Schwarzerle (Alnus glutinosa), die sich im Gegensatz zu vielen anderen Pflanzen auf ein Terrain hineinwagt, wo andere ersticken. Nämlich in sumpfige Untergründe, hinein in stehende Gewässer, da sie in der Lage sind, über Interzelluraren im Holz (Aerenchym) Luft, die am unteren Stamm über große Lentizellen aufgenommen werden kann, ins Wurzelwerks weiterzuleiten. Daher „ersticken“ sie nicht im Hochwasser, tatsächlich fungieren sie wie eine kleine Wasserpumpstation mit der Fähigkeit, Böden in überschwemmten Gebieten trockenzulegen. Sie schützen also vor Überschwemmungen, einfach so, und bekommen nichts dafür? Offenbar sind Pflanzen aus diesem anthropogenen kapitalistischen System ausgeschlossen, das E-Car erfährt mehr Respekt als unsere Erle, sonderbare Prioritäten bestimmen unser Leben. Und bei einer geschätzten Altersannahme von ca. 150 bis 180 Jahren, geht sie diesem Bestreben um ein Vielfaches länger nach, als es benzin- oder strombetriebene Pumpwerke vermögen. Dabei wirken Erlen treibstofffrei, rosten nicht und machen keinen Lärm. Warum also dieser technische Unfug?
Es gibt über 390.000 verschiedene bekannte Pflanzenarten, geschätzt, noch sehr viele zudem, die noch gar nicht entdeckt wurden. Schätzungsweise ein Fünftel davon ist vor dem tatsächlichen Exodus bedroht. Die Sauerstoffspeicher neigen sich dem Ende zu. In Verbindung mit Pilzen, Mikroorganismen, Insekten, Vögel, Säugetiere und vielen anderen Lebewesen, existieren also neben dem Menschen, dem „homo ignorantus“ weitere Bewohner auf diesem Planeten, die allesamt ihre Daseinsberechtigung haben. Es gibt auch keinen Grund, ihnen dies abzusprechen, ihre Lebensräume zu zerstören und ihre Quellen und Ressourcen zu plündern, zumal wir uns damit selbst schaden. In einem Ökosystem wie dem Planeten sind sämtlichen Interaktionen geprägt durch ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen – wir sind die einzigen, die nur nehmen. Und genau diesen besitzergreifenden hochmütigen Habitus sollten wir ablegen, wenn wir unsere Art erhalten wollen. Viele sind schon auf dem Weg, das stimmt hoffnungsfroh, aber mehr „Reisende“ sind willkommen.
„Die Vernunft ist möglicherweise eines von jenen Mitteln, die das Universum dazu ersann, um sich auf schnellstem Wege auszulöschen.“(Paul Valéry)
Natürlich gibt es bessere, vor allem botanische Alternativen, die es sich lohnt, genauer anzuschauen, davon zu lernen und zu verinnerlichen, um Leben und Überleben zu können. Ich biete in Zukunft vermehrt Workshops und Seminare mit dem Titel „Lehr- und Lern-Ort Natur“ an, in deren Verlauf wir uns bewusst wieder der Natur zuwenden werden, in sie eintauchen werden und uns von ihr inspirieren lassen werden. Die Natur, insbesondere die Pflanzen, liefert uns die Antworten, die wir zum Leben und Überleben brauchen – wir sollten zuhören und lernen. Und warum? Weil es dringend nötig ist!!!
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ (Franz Kafka) – in diesem Sinne wünsche ich uns allen ein achtsames Miteinander und ein mutiges Aufstehen. Und nicht vergessen: „Achtet auf die Pflanzen, denn sie wissen, was sie tun!“
Von unten nach oben, ein demütiger Blick in das Kronendach eines Waldes: